Leipziger Migrantenbeirat: Okasha entschuldigt sich für Insta-Post

Mohamed Okasha hatte am 9. November einen Instagram-Post zum Krieg im Nahen Osten geteilt, der vielfach als antisemitisch kritisiert wurde. Jetzt rudert er zurück.

Mohamed Okasha, Co-Vorsitzender des Leipziger Migrantinnen- und Migrantenbeirats, hat um Entschuldigung dafür gebeten, „mit dem Teilen eines Instagram-Posts das Wort ,Genozid’ zu einem unangebrachten Zeitpunkt verwendet zu haben“. In einer öffentlichen Stellungnahme vom Sonntag, die neben Okasha auch dessen Vorsitz-Kollegin Francesca Russo unterzeichnet hat, heißt es unter anderem: „Als Zugewanderte akzeptieren wir die Kriterien der deutschen Staatsräson. Für uns gilt: Die Lehre, die die gesamte Menschheit aus dem Holocaust gezogen hat und weiterhin ziehen muss, ist universell und kulturübergreifend – und sie muss konsequent in unserer Gesellschaft umgesetzt werden.“

Okasha hatte am 9. November – dem Tag, an dem der Opfer der Novemberpogrome von 1938 gedacht wurde – den Instagram-Post eines saudi-arabischen Musikers geteilt. Darin wurde behauptet, dass die Täterinnen und Täter, die für die Shoah, den Abwurf der Atombombe, die Toten des Vietnam-Kriegs und der Irak-Kriege und die Erschaffung von Al-Quaida verantwortlich seien, heute „Israels Genozid an den Palästinensern“ unterstützten. Leipzig Oberbürgermeister Burkhard Jung (SPD) kritisierte die Wortmeldung als „unerträglich“. Vom Migrantenbeirat forderte er „eine schnelle und unmissverständliche Positionierung und klare Konsequenzen“. Der Leipziger CDU-Vorsitzende Andreas Nowak verlangte, Okasha abzuberufen.

„Kommunikationslücke“ zwischen Mehrheitsgesellschaft und Migranten

Gegenüber der LVZ hatte Okasha am Freitag die Ansicht bekräftigt, dass es aus der gegenwärtigen israelischen Regierung, die er als „rechtsradikal“ bezeichnete, Äußerungen gebe, die auf einen gewollten „Genozid“ der Palästinenser schließen ließen. Ohne darauf noch mal einzugehen, appellieren Russo und Okasha in der jetzigen Stellungnahme für „eine ernsthafte und pluralistische Auseinandersetzung mit den Meinungen und Gefühlen aller Menschen – einschließlich der Migrantinnen und Migranten“, die nicht in Deutschland sozialisiert worden seien.

Die beiden Vorsitzenden beobachten demnach eine „Kommunikationslücke“: „Kritische Stimmen zum Verhalten Israels von Migrantinnen und Migranten werden voreilig und undifferenziert als antisemitisch bezeichnet“. Zur integrativen Rolle des Beirats gehöre, „diesen Meinungen auch Gehör zu verschaffen – solange sie nicht antisemitisch oder proterroristisch sind“. Die Positionen müssten im Dialog diskutiert werden.

„Der Anstieg an antisemitischen Angriffen ist ein Fakt, den wir eindeutig und kompromisslos verurteilen“, ist zu lesen. Jedoch nehme parallel auch der antimuslimische und antiarabische Rassismus zu, ohne dass sich bisher eine Leipziger Stadtratsfraktion dagegen ausgesprochen habe. Die Stadt dürfe keine Minderheit aus dem Fokus verlieren. „Wir möchten unseren Beitrag zum Zusammenhalt der Stadtgesellschaft in diesen schwierigen Zeiten der Unsicherheit und Spaltung leisten“, so die beiden Vorsitzenden.


 
„Genozid an Palästinensern“: Wirbel um Chef des Leipziger MigrantenbeiratsIn Leipzig wird der Rücktritt vom Chef des Migrantenbeirats gefordert. Nachdem Mohamed Okasha einen Instagram-Post geteilt hat, der Israel den „Genozid an Palästinensern“ vorwirft, verlangen Oberbürgermeister Jung (SPD) und CDU-Chef Nowak Konsequenzen.

Zum zweiten Mal in diesem Monat führt ein Instagram-Post eines Mitglieds des Leipziger Migrantinnen- und Migrantenbeirats über den Krieg im Nahen Osten zu einer erhitzten Debatte in der Stadtpolitik. Es geht um Mohamed Okasha, den Vorsitzenden des 22-köpfigen Gremiums.

Am Donnerstag teilte er eine Notiz, die Israel den „Genozid an Palästinensern“ vorwirft. Bei der Kommunalwahl 2024 tritt Okasha für Die Linke im Wahlkreis 5 im Leipziger Südwesten an. In der Vorwoche hatte eine Wortmeldung der Grünen-Politikerin Nuria Silvestre Wellen geschlagen.

Die erste Reaktion auf den Post kam von der CDU. „Hamas-Propaganda hat in Leipzig keinen Platz“, empörte sich Kreisvorsitzender Andreas Nowak in einer Pressemitteilung. „Besonders perfide und die bewusste Grenzüberschreitung markierend ist der Umstand, dass Herr Okasha diese Aussagen ausgerechnet am 9. November veröffentlicht, dem Tag, an dem wir der Shoah und der historischen Verantwortung daraus für heute gedenken.“

Auf LVZ-Anfrage positionierte sich am Freitag Leipzigs Oberbürgermeister Burkhard Jung (SPD). „Diese Meinungsäußerung ist unerträglich“, sagte er. „Vom Vorsitzenden des Migrantenbeirats erwarte ich, dass er eine integrative Rolle in der Stadtgesellschaft einnimmt und die Staatsräson der Bundesrepublik Deutschland akzeptiert.“

Okasha: Holocaust ist das Schlimmste in der Geschichte

Wegen eines Ablaufdatums von 24 Stunden ist die Instagram-Story mittlerweile nicht mehr auf Okashas Profil zu finden. Ursprünglicher Verfasser ist ein Musiker aus Saudi-Arabien namens Abdulla Faisal.

Er wirft zunächst fünf rhetorische Fragen auf: „Wer ermordete sechs Millionen Juden? Wer warf die Atombome ab? Wer ermordete 1,5 Millionen Vietnamesen? Wer ermordete 1,033 Millionen Irakis? Wer erschuf Al-Quaida?“ Folgende Antwort liefert der Post: „Dieselben Menschen, die heute im Jahr 2023 Israels Genozid an Palästinensern unterstützen. Auch dieselben Menschen, die die Welt über Menschenrechte belehren.“

In einem Telefonat mit der LVZ hielt Okasha am Freitag an den Inhalten fest. „Der Post zielt gegen die weißen Männer in der Welt, die viele Verbrechen verübt haben und sich jetzt humanitär aufspielen“, sagte er. Gleichzeitig widersprach Okasha der Lesart der CDU. „Für mich besteht die Hamas aus rechtsradikalen Muslimen. Ich verbreite keinerlei Propaganda, und erst recht nicht von Hamas“, betonte er.

„Ich bin kein Antisemit. Der Holocaust ist das Schlimmste, das in der Geschichte passiert ist. Die Ermordung von sechs Millionen Jüdinnen und Juden – das war ein Genozid, natürlich war es einer. Und was Hamas will, ist ebenfalls ein Genozid: die Jüdinnen und Juden vernichten.“

Okasha fordert eine „neue Erinnerungskultur“

Für Okasha stehen die Netanjahu-Regierung und das israelische Militär jedoch offenbar auf einer Stufe mit der Hamas. „Es sind rechtsradikale Politiker“, sagte er. „Ich bin kein Jurist, aber wenn ich die Statements der israelischen Regierung und Armee höre, wollen sie ebenfalls einen Genozid.“Für CDU-Politiker Nowak zeigt eine solche „Aussage ein völlig verzerrtes Welt- und Menschenbild“, sagte er. Sie stelle „das Selbstverteidigungrecht des Staates Israel durch einen Vergleich mit dem Massenmord an den europäischen Juden im Nationalsozialismus infrage“.

Okasha betonte auf Nachfrage: „Ich stelle das Existenzrecht Israels nicht infrage – aber auch nicht das Existenzrecht Palästinas. Für mich ist die Zweistaatenlösung der einzige Weg.“Okasha, der ägyptische Wurzeln hat, fordert eine „neue Erinnerungskultur“ in Deutschland. Die Shoah dürfe dabei keineswegs eine kleinere Rolle spielen:

„Wir neuen Deutschen, die wir seit einigen Jahren eingewandert sind, fühlen uns schlecht und traurig wegen des Völkermordes an den Jüdinnen und Juden. Aber wir fühlen uns nicht schuldig“, sagte er.Deutsche arabischer Herkunft hätten eine andere Beziehung zu den Jüdinnen und Juden als Deutsche ohne Migrationshintergrund. „Die Juden sind zu uns geflohen, als sie in Europa verfolgt wurden. Wir haben nebeneinander gelebt.“

Doch mit dem Sechstagekrieg sei Israel 1967 zu einer Kolonialmacht geworden, so Okashas Interpretation. Die Leipziger CDU hat Oberbürgermeister Jung aufgefordert, bis Mittwoch die Voraussetzung zu schaffen, dass der Stadtrat in seiner nächsten Sitzung Okasha abberufen kann. In der Stadtverwaltung dauerte am Freitag die Prüfung an, ob der Stadtrat das überhaupt rechtlich kann. Jung allein, so hieß es aus der Stadtverwaltung, dürfe das jedenfalls nicht entscheiden.

Sein Appell: „Vom Migrantenbeirat erhoffe ich mir eine schnelle und unmissverständliche Positionierung und klare Konsequenzen.“Der Migrantinnen- und Migrantenbeirat ist kein gewähltes Organ mit Entscheidungsgewalt, sondern ein Fachbeirat des Stadtrates. Andere Fachbeiräte gibt es beispielsweise für Seniorinnen und Senioren, Familien, Kleingärten und Tierschutz.

Die Aufgabe: „Sichtweisen und Anregungen der Migrantinnen und Migranten in die Diskussion einzubringen“, insbesondere zu Entscheidungen über migrantische Belange.Die Grünen-Politikerin Nuria Silvestre gehört dem Migrantinnen- und Migrantenbeirat als Stadträtin an. Die gebürtige Spanierin hatte der israelischen Regierung in einem Instagram-Post „Kriegsverbrechen und die Ermordung tausender Unschuldiger“ vorgeworfen.

In einem Tweet hatten sich die Leipziger Grünen kurz darauf „ausdrücklich vom Post einer unserer bündnisgrünen Stadträtinnen“ distanziert. Volker Beck, früherer Bundestagsabgeordente der Grünen und heutiger Präsident der Deutsch-Israelischen Gesellschaft, forderte mittlerweile auf dem Kurznachrichten-Dienst „X“, Silvestre aus der Partei auszuschließen.


Mathias Wöbking
Kommentar – Unsäglicher Insta-Post aus dem Leipziger Migrantenbeirat: Trotzdem im Gespräch bleiben

Der Instagram-Post, den der Chef des Leipziger Migrantenbeirats geteilt hat, ist völlig daneben. Dennoch wäre es verkehrt, Mohamed Okasha aus der Stadtpolitik zu verbannen, meint LVZ-Reporter Mathias Wöbking

Die Shoah, mit sechs Millionen ermordeten Jüdinnen und Juden das entsetzlichste Verbrechen der Menschheitsgeschichte, ist unvergleichbar. Die Bösartigkeit, das planvolle Vorgehen, die Entmenschlichung, das Leid – auch nach acht Jahrzehnten fehlen die Worte, den Massenmord zu fassen. So etwas darf nie wieder passieren.

Selbstverständlich hat der Staat Israel ein Recht auf Selbstverteidigung. Und natürlich trifft auch sehr viele Palästinenserinnen und Palästinenser schreckliches Leid, die nichts dafür können. Die Hamas-Terroristen machen sie zu ihrem Schutzschild. Trotzdem ist es kein Völkermord, den die israelische Regierung plant und der mit dem Holocaust vergleichbar wäre. Der Instagram-Post, den Mohamed Okasha ausgerechnet an einem 9. November geteilt hat, ist völlig daneben.

Dennoch wäre es verkehrt, den Vorsitzenden des Leipziger Migrantinnen- und Migrantenbeirats ohne ein vorheriges Gespräch aus der stadtpolitischen Diskussion zu verbannen. Okasha ist kein Antisemit, er verurteilt die Shoah mit klaren Worten, er verachtet die Hamas. Die deutsche Mehrheitsgesellschaft muss den Kontakt halten zu Menschen wie ihm, die zwar teilweise von Ansichten geprägt sind, die nicht zur Staatsräson passen, aber bei denen es sich um keine Fanatiker handelt. Wenn man ausschließlich übereinander schimpft, statt miteinander zu sprechen, wird es nur schwieriger, zusammen zu leben.